Instanzgerichte Entscheidungen


Unklarheiten bei der Formulierung eines Rücktrittsrechts wirken zugunsten der Bauherren

Im Februar 2010 hat der 17. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm folgende Entscheidung verkündet:

Die Parteien eines Werkvertrages sind bei der Ausgestaltung eines Rücktrittsrechts grundsätzlich frei; die Auslegung einer entsprechenden Vereinbarung richtet sich deshalb nach den allgemeinen für die Vertragsauslegung geltenden Grundsätzen.

OLG Hamm, Urteil vom 22.02.2010 - 17 U 146/09

Gründe:

I.
Die Klägerin verlangt von den Beklagten eine Vergütung aufgrund eines zwischen den Parteien geschlossenen Hausbauvertrages, von dem die Beklagten zurückgetreten sind. Nachdem die Beklagten eine Musterausstellung der Klägerin besucht und sich über die ihr angebotenen Hausmodelle informiert hatten, suchte sie ein Mitarbeiter der Klägerin am 06.09.2006 zu Hause auf und legte ihnen einen vorbereiteten Vertragstext über die Errichtung eines Massivhauses zum Preis von 145.000,00 Euro brutto vor, den die Beklagten am selben Tag unterzeichneten. Zu diesem Zeitpunkt hatten sie die Finanzierung des Bauvorhabens noch nicht geklärt.
Dem Vertrag war u.a. als Anlage 4 eine Zusatzvereinbarung mit folgendem Inhalt beigefügt:

„Zusatzvereinbarung Rücktrittsrecht "Genehmigte Bauvoranfrage
1. Der Hausvertrag kommt vorbehaltlich der positiven Beurteilung der von dem Architekten gestellten Bauvoranfrage durch die zust
ändige Bauaufsichtsbehörde zustande. Mit Erteilung eines positiven Bescheides der Bauvoranfrage für das geplante Bauvorhaben wird der Hausvertrag rechtskräftig.

2. Das R
ücktrittsrecht erlischt durch schriftliche Mitteilung.“

Der positive Vorbescheid des Landrates des Kreises D als zuständiger Baubehörde datiert vom 11.09.2006. Unter dem 13.09.2006 übersandte die Klägerin den Beklagten die Auftragsbestätigung, mit der nach Ziffer 1 ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Vertrag zustande kommen sollte, sowie ein Exemplar des von ihr am selben Tag unterzeichneten Hausvertrages. In dem Bestätigungsschreiben heißt es wörtlich u. a.:

"Der Vertrag beinhaltet in der Anlage 4 ein Rücktrittsrecht. Wir werden mit den vorbereitenden Planungsarbeiten für Ihr Bauvorhaben beginnen, sobald Sie uns mitgeteilt haben, dass Sie dieses Rücktrittsrecht nicht in Anspruch nehmen."

Zugleich übersandte die Klägerin den Beklagten einen Vordruck mit der Überschrift: "Auflösung der Zusatzvereinbarung". Der Text dieses Vordrucks lautet wörtlich:

Auflösung der Zusatzvereinbarung
1. Die Zusatzvereinbarung:
"Genehmigte Bauvoranfrage"
(kostenloses R
ücktrittsrecht) wird hiermit unwiderruflich aufgehoben. Der Auftrag soll mit sofortiger Wirkung aktiv bearbeitet werden.

Diesen Vordruck unterzeichneten die Beklagten nicht, sondern teilten der Klägerin mit Schreiben vom 24.10.2006 mit, dass sie aus familiären Gründen vom Hausvertrag zurückträten. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, den Beklagten stehe ein vertraglich vereinbartes Rücktrittsrecht nicht zu. Die Rücktrittserklärung sei deshalb als Kündigung aufzufassen und die Beklagten seien verpflichtet, an sie die vereinbarte Nettovergütung abzüglich der von ihr ersparten Aufwendungen, die sie näher darlegt, zu zahlen.
Die Beklagten haben die Auffassung vertreten, der Bauvertrag sei ausweislich der Anlage 4 unter der aufschiebenden Bedingung eines positiven Bescheides der Bauvoranfrage geschlossen worden und habe in Nr. 2 ein davon unabhängiges Rücktrittsrecht bestimmt. Die Höhe der von der Klägerin ersparten Aufwendungen haben sie bestritten.
Das Landgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben.
Zur Begründung hat die Kammer ausgeführt, der Klägerin stehe der geltend gemachte Vergütungsanspruch gem. § 649 S. 2 BGB dem Grunde und der Höhe nach zu, denn den Beklagten habe kein Recht zum Rücktritt vom Bauvertrag zugestanden. Mit der Zusatzvereinbarung in der Anlage 4 hätten die Parteien ein Rücktrittsrecht lediglich für den Fall vereinbart, dass die Bauvoranfrage abschlägig beschieden werde. Unabhängig von der Frage, ob es eines solchen Rücktrittsrechts angesichts der vorbehaltenen positiven Beurteilung der Bauvoranfrage durch die zuständige Baubehörde überhaupt bedurft hätte, ergäbe sich aus der Überschrift deutlich, dass das Rücktrittsrecht nur für den Fall eines abschlägigen Bescheides gelten sollte. Die Klägerin habe die Höhe der von ihr ersparten Aufwendungen auch im Einzelnen durch vorprozessuale Übersendung von Belegen nachgewiesen. Das dagegen gerichtete allgemeine Bestreiten der Beklagten sei nicht ausreichend.


Die Beklagten sind der Auffassung, die Kammer habe den Inhalt der Anlage 4 zum Bauvertrag rechtsfehlerhaft dahingehend ausgelegt, dass das Rücktrittsrecht nur für den Fall einer nicht genehmigten Bauvoranfrage gegeben sein sollte.


Die Klägerin verteidigt die angegriffene Entscheidung. Der Inhalt der Anlage 4 sei keiner anderen Auslegung zugänglich, als dass damit lediglich eine Regelung für den Fall getroffen werden sollte, dass die gestellte Bauvoranfrage nicht positiv beschieden wird. Der Mitarbeiter Q habe sich bei der Formulierung der Klausel lediglich insofern undeutlich ausgedrückt, als er in der Nummer 1 eine aufschiebende Bedingung und für den gleichen Fall in Nummer 2 eine Möglichkeit des Rücktritts aufgenommen habe. Dabei sei er sich der Tatsache, dass ein gesondertes Rücktrittsrecht in dem Fall nicht erforderlich sei, nicht bewusst gewesen.

II.
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet.
Der Klägerin steht der verlangte Werklohn nicht gem. § 649 S. 2 BGB zu, denn die Beklagten haben den mit ihr geschlossenen Hausbauvertrag nicht gekündigt, sondern sie sind vom Vertrag zurückgetreten. Dazu waren sie aufgrund eines ihnen zustehenden vertraglichen Rücktrittsrechtes berechtigt.
Die Parteien haben einen Werkvertrag über die Errichtung eines Hauses unter der aufschiebenden - und unstreitig eingetretenen - Bedingung geschlossen, dass die zuständige Baubehörde auf die Bauvoranfrage des Architekten einen positiven Vorbescheid erteilt.
Der streitgegenständliche Werkvertrag ist entsprechend Ziffer 1 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin durch die schriftliche Auftragsbestätigung ihrer Geschäftsleitung vom 13.09.2006 zustande gekommen. Das bedeutet zugleich, dass auch der Inhalt dieses Schreibens als Vertragsinhalt gilt (Palandt/Ellenberger, BGB, 69. Aufl., § 147 Rdnr. 18). Danach haben die Parteien ein vertragliches Rücktrittsrecht vereinbart. Dessen näherer Inhalt soll sich nach der in der Anlage 4 des Vertrages enthaltenen Vereinbarung richten. Weiter ist danach die Erklärung der Beklagten erforderlich, dieses Recht nicht in Anspruch nehmen zu wollen, damit die Klägerin mit der Erbringung der von ihr vertraglich geschuldeten Leistungen beginnt.
Da Wortlaut und Zweck der in der Anlage 4 des Vertrages enthaltenen zusätzlichen Vereinbarung nicht eindeutig sind, ist die Reichweite dieser Vereinbarung durch Auslegung zu ermitteln. Diese führt dazu,
dass den Beklagten im vorliegenden Fall ein vom Ergebnis der Bauvoranfrage unabhängiges Rücktrittsrecht zustand.

Die Parteien eines Werkvertrages sind bei der Ausgestaltung eines Rücktrittsrechts grundsätzlich frei; die Auslegung einer entsprechenden Vereinbarung richtet sich deshalb nach den allgemeinen für die Vertragsauslegung geltenden Grundsätzen (vgl. dazu BGH NJW 1997, 3087). Maßgebend für die Reichweite eines vertraglich vereinbarten Rücktrittsrechts ist der wirkliche Wille der Vertragsparteien (§§ 133, 157 BGB), zu dessen Auslegung neben dem Wortlaut der Vertragserklärungen auch die beiderseits bekannten Umstände, insbesondere die Art und Weise des Zustandekommens der Vereinbarung, ihr Zweck und die beiderseitige Interessenlage der Parteien heranzuziehen sind.
1.
Nach dem Wortlaut der streitigen Zusatzvereinbarung haben die Parteien ausdrücklich ein "Rücktrittsrecht" vereinbart. Das ergibt sich zum einen aus der Überschrift und zum anderen aus Ziffer 2 der Zusatzvereinbarung. Ziffer 2 der Zusatzvereinbarung spricht unmissverständlich von einem Rücktrittsrecht, das erst durch eine schriftliche Mitteilung erlöschen soll. Dem entspricht die weitere von der Klägerin vorgesehene Zusatzvereinbarung zur Aufhebung des Rücktrittsrechtes, welche die Beklagten nicht unterzeichnet haben. In dieser weiteren Zusatzvereinbarung ist von einem "kostenlosen Rücktrittsrecht" die Rede.

Die Klägerin führt dazu in der Berufungserwiderung aus, der Zeuge Q habe sich bei der Formulierung der Klausel undeutlich ausgedrückt und sei sich der Tatsache, dass ein gesondertes Rücktrittsrecht im vorliegenden Fall nicht erforderlich gewesen sei, nicht bewusst gewesen. Abgesehen davon, dass der Zeuge Q vor dem Senat glaubhaft bekundet hat, nicht er als Handelsvertreter, sondern allein die Klägerin sei für die Formulierung der Vertragstexte zuständig gewesen, kommt es darauf im Übrigen nicht an.

Zum einen widerspricht die Annahme einer überflüssigen Regelung der Auslegungsregel, wonach im Zweifel davon auszugehen ist, dass die Parteien jeder Vertragsnorm grundsätzlich auch eine bestimmte rechtserhebliche Bedeutung beimessen. Bei mehreren an sich möglichen Auslegungen ist deshalb derjenigen der Vorzug zu geben, bei welcher der Vertragsnorm eine tatsächliche Bedeutung zukommt, wenn sich diese Regelung ansonsten als (teilweise) sinnlos erweisen würde (so BGH NJW 1998, 2966; 2005, 2618).
Zum anderen ist - wie oben ausgeführt - der Inhalt der Auftragsbestätigung der Klägerin vom 13.09.2006 Vertragsinhalt geworden. Danach haben die Parteien ebenfalls ein Rücktrittsrecht vereinbart.

2.
Unabhängig davon, ob es sich bei der streitigen Zusatzvereinbarung um Allgemeine Geschäftsbedingungen der Klägerin handelt, steht fest, dass sie den Inhalt dieser streitigen Zusatzvereinbarung vorformuliert hat. Für die Auslegung der Vereinbarung ist deshalb maßgeblich darauf abzustellen, wie der vorformulierte Erklärungsinhalt aus der Sicht der Beklagten als Empfänger zu verstehen war (vgl. BGH NJW 1997, 3087).

Vom Empfängerhorizont aus bedeutete der Inhalt der Zusatzvereinbarung, dass erstens der Hausvertrag mit der Klägerin aufschiebend mit der Erteilung eines positiven Vorbescheides wirksam zustande kommen und zweitens das Rücktrittsrecht erst mit einer entsprechenden schriftlichen Mitteilung erlöschen sollte. Mangels einer Verknüpfung zwischen diesen beiden Regelungsziffern bestand danach aus Empfängersicht unabhängig von der Bescheidung der Bauvoranfrage ein Rücktrittsrecht, welches nur durch eine schriftliche Aufhebung zum Erlöschen gebracht werden konnte. In diesem Verständnis durften sich die Beklagten vorliegend insbesondere nach Erhalt des Auftragsbestätigungsschreibens der Klägerin vom 13.09.2006 bestätigt fühlen. Darin bringt die Klägerin gegenüber den Beklagten klar und deutlich zum Ausdruck, dass sie mit den vorbereitenden Planungsarbeiten erst beginnen wird, wenn eine Erklärung vorliegt, wonach die Beklagten das in der Anlage 4 enthaltene Rücktrittsrecht nicht in Anspruch nehmen werden. Allein eine positive Antwort auf die Bauvoranfrage - also der Eintritt der aufschiebenden Bedingung - sollte danach nicht ausreichend sein, um mit der Vertragsdurchführung , d.h. mit der Erbringung der vertraglich geschuldeten Leistungen zu beginnen.

3.
Auch die beiderseitig bekannten Umstände und die Art und Weise des Zustandekommens der Zusatzvereinbarung sprechen für die Vereinbarung eines von der Bauvoranfrage unabhängigen Rücktrittsrechts.
Unstreitig hatten die Beklagten zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung die Finanzierung des teils gewerblichen und teils privaten Bauvorhabens noch nicht sicher geklärt. Dessen ungeachtet ging das unternehmerische Interesse der Klägerin dahin, zum Vertragsschluss mit den Beklagten zu kommen. In einem solchen Fall entspricht es der beiderseitigen Interessenlage und dem mit dem Rechtsgeschäft verfolgten redlichen Zweck, eine Möglichkeit der Vertragsauflösung zu vereinbaren. Nach den überzeugenden Bekundungen des Zeugen Q vor dem Senat, war die Frage der Möglichkeit der Finanzierung des Objektes dementsprechend auch Gegenstand des Gesprächs mit den Beklagten vor der Unterzeichnung des Vertrages. Der Zeuge vermochte sich noch daran zu erinnern, dass die Finanzierung der geplanten Gewerbehalle mit privatem Wohnhaus für die Beklagten "schwer zu stemmen" war. Die Vereinbarung eines Rücktrittsrechts in Fällen einer noch nicht gesicherten Finanzierung sei für ihn seinerzeit auch nicht unüblich gewesen, sondern durchaus vorgekommen.

Der Beklagte zu 2) hat im Rahmen seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat bekundet, der Zeuge Q habe ihnen erklärt, falls es mit der Finanzierung nicht klappe, bestehe eine Rücktrittsmöglichkeit. Entsprechend habe er den Inhalt der Zusatzvereinbarung verstanden.
Demgegenüber hat der Zeuge Q lediglich wegen des hier nicht eingesetzten - in Fällen einer noch nicht geklärten Objektfinanzierung aber sonst üblichen - Textbausteins den Rückschluss gezogen, dass das Rücktrittsrecht im vorliegenden Fall nur für eine positive Bescheidung der Bauvoranfrage gelten sollte. Dieser Rückschluss des Zeugen steht aber der vorstehenden Auslegung nicht entgegen.

4.
Das Verständnis der Vertragsklausel als unbedingtes und kostenloses Rücktrittsrecht der Beklagten berücksichtigt auch die Interessenlage der Klägerin in hinreichendem Maße.
Die - überspitzte - Darstellung der Klägerin in der Berufungsbegründung, wonach es den Beklagten mit einer solchen Rücktrittsklausel möglich gewesen wäre, noch vor dem letzten Handgriff am Bau kostenlos vom Vertrag zurückzutreten, ist theoretischer Natur. Die Klägerin selbst hat in ihrem Schreiben vom 13.09.2006 an die Beklagten ausgeführt, dass sie vor einem ausdrücklich erklärten Verzicht auf das vereinbarte Rücktrittsrecht nicht einmal mit vorbereitenden Planungsarbeiten beginnen werde.

5.
Auf die im vorliegenden Verfahren geäußerten abweichenden Vorstellungen der Klägerin vom Inhalt der Zusatzvereinbarung kommt es nicht an.
Die von ihr gewählte Formulierung enthielt objektiv alle Anhaltspunkte und Hinweise auf die hier erörterte Auslegung, die sie deshalb gegen sich gelten lassen muss (vgl. dazu auch BGH NJW 1983, 1903). Sie selbst hatte es in der Hand, die Zusatzvereinbarung so zu formulieren, dass sie in dem Sinne, in dem sie sie verstanden wissen will, eindeutig ist. Das ihrer Meinung nach insoweit fehlende Problembewusstsein des Handelsvertreters Q ist ohne Belang.

Hinzu kommt vorliegend, dass der Grundsatz, wonach Unklarheiten im Zweifel zu Lasten des Verwenders formularmäßiger Erklärungen gehen, entsprechende Anwendung findet, wenn der Vertragstext - wie hier - vom wirtschaftlich und intellektuell Überlegenden entworfen wurde (Palandt/Ellenberger, BGB, 69. Aufl., § 133 Rdnr. 22).
Von dem ihnen danach zustehenden Rücktrittsrecht haben die Beklagten mit ihrem Schreiben vom 24.10.2006 gegenüber der Klägerin Gebrauch gemacht. Die Umdeutung dieser Erklärung in eine freie Kündigung mit der Rechtsfolge eines Vergütungsanspruchs der Klägerin für nicht erbrachte Leistungen gem. § 649 S. 2 BGB kommt mithin nicht in Betracht. Die Klage war deshalb abzuweisen.

LG Münster, 30.07.2009 - 15 O 445/08 , BGH, 23.08.2012 - VII ZR 45/10